Der „liebe Gott“ – der Opa im Himmel?

Unter dem guten Gott verstehen wir heutzutage fast ausschließlich den „lieben“ Gott; und wir mögen damit auch Recht haben. Aber mit Liebe meinen die meisten von uns in diesem Zusammenhang soviel wie Gutherzigkeit, d. h. den Wunsch, jemand anders glücklich zu sehen, nicht glücklich in diesem oder jenem Sinn, sondern einfachhin glücklich. Was uns wirklich passen könnte, das wäre ein Gott, der zu allem, was wir gerade gern täten, sagen würde: „Was macht es schon, solange sie nur zufrieden sind?“

In der Tat, wir möchten nicht so sehr einen Vater im Himmel als vielmehr einen Großvater im Himmel – einen greisen Wohlmeiner, der es, wie man sagt, „gerne sieht, wenn die jungen Leute sich amüsieren“, und dessen Plan für das Universum einfach darauf hinausläuft, dass am Abend eines jeden Tages gesagt werden kann: „Es war für alle wundervoll.“

Nicht viele Leute, das gebe ich zu, würden ihre Theologie mit genau diesen Worten formulieren; aber eine Vorstellung ungefähr dieser Art verbirgt sich im Hintergrund nicht weniger Köpfe. Und ich mache nicht den Anspruch, eine Ausnahme zu sein: Ich würde sehr gern in einer Welt leben, die nach solchen Grundsätzen regiert würde. Aber da es über die Maßen klar ist, dass dies nicht der Fall ist, und da ich Grund habe, nichtsdestoweniger zu glauben, dass Gott die Liebe ist, so komme ich zu dem Schluss, meine Vorstellung von Liebe sei vielleicht korrekturbedürftig. …

Du verlangst nach einem „lieben“ Gott. Du hast ihn. Der große Geist, den du so leichtfertig beschworen hast, der „Herrscher schrecklichen Anblicks“ ist anwesend: nicht ein greisenhafter Wohlmeiner, der dir schläfrig wünscht, nach deiner eigenen Façon glücklich zu sein; nicht die kalte Philanthropie einer gewissenhaften Obrigkeit, noch auch die Sorge eines Gastgebers, der sich für das Wohlbefinden seiner Gäste verantwortlich fühlt. Sondern: das verzehrende Feuer Selbst, die Liebe, welche die Welten erschuf, beharrlich wie des Künstlers Liebe zu seinem Werk, herrisch wie eines Menschen Liebe zu seinem Hund, fürsorglich und ehrwürdig wie eines Vaters Liebe zu seinem Kind, eifersüchtig, unerbittlich, streng wie die Liebe zwischen den Geschlechtern. Wie dies möglich sein soll, weiß ich nicht. Es ist über die Vernunft, erklären zu wollen, warum irgendein Geschöpf, geschweige denn ein Geschöpf wie wir, in des Schöpfers Augen einen so ungeheuern Wert haben könnte. …

Das Problem, menschliches Leiden mit der Existenz eines liebenden Gottes in Einklang zu bringen, ist nur solange unlösbar, als wir mit dem Wort „Liebe“ eine triviale Bedeutung verbinden und die Welt so ansehen, als sei der Mensch ihr Mittelpunkt.

C.S. Lewis, Über den Schmerz, München (1940), deutsch 1978, S. 47f.55f.
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