Jüdisches Neujahr 5782: „Das Land soll wie an einem Sabbat ruhen zu Ehren des Herrn.“ (Lev 25,2) – Wie geht das heute?

Am Vorabend des 7. September begann das jüdische Neujahrsfest des Jahres 5782. Es ist nicht ein Jahr wie jedes andere. Es ist ein Sabbatjahr („Schmitta-Jahr“). Dazu:

Lev 25,1-6 (s.a. Ex 23,10f.) (BasisBibel):

Unbebautes Feld im Schmitta-Jahr bei Rosh Haayin

1 Der Herr sprach auf dem Berg Sinai mit Mose.
Er forderte ihn auf, 2 mit den Israeliten zu reden und ihnen auszurichten:

Ihr werdet bald in das Land kommen, das ich euch geben will.
Dann soll das Land wie an einem Sabbat ruhen zu Ehren des Herrn.
3 Sechs Jahre lang sollt ihr eure Felder bestellen und Samen aussäen.
Sechs Jahre sollt ihr eure Weinberge pflegen und die Ernte einbringen.
4 Aber im siebten Jahr soll das Land Ruhe haben.
Das soll ein Sabbatjahr sein zu Ehren des Herrn.
Bearbeitet weder eure Felder noch eure Weinberge!

5 Ihr dürft nicht einmal das ernten, was von selbst nachwächst.
Ihr dürft auch nicht die Trauben lesen,
die ohne Pflege an den Weinstöcken wachsen.
Denn das Land soll für ein Jahr wie am Sabbat ruhen.
6 Ihr dürft nur gerade das einsammeln,
was ihr in der Ruhezeit des Landes zum Essen braucht.
Das gilt für alle, die in euren Haushalten wohnen:
für eure Sklaven und Sklavinnen
und für eure einheimischen und fremden Lohnarbeiter.
7 Was auf eurem Land von selbst wächst, soll alle ernähren
– auch euer Vieh und die Tiere, die darauf leben.


Wie geht das heute in Israel?

Ein Bericht aus der Süddeutschen Zeitung vom Montag, 6. September 2021.

Biblische Pflanzpause

In Israel beginnt ein Jahr, in dem nichts angebaut werden soll. Das führt zu einigen praktischen Problemen.
Von Dr. Peter Münch (Korrespondent in Israel)

Tel Aviv – Israel feiert Rosch Haschana, das Neujahrsfest. Nach jüdischem Kalender beginnt mit Sonnenuntergang am Montagabend das Jahr 5782 – und es wird ein besonderes Jahr werden. Denn 5782 ist ein sogenanntes Schmitta-Jahr, ein „Jahr des Freigebens“, in dem nach biblischem Gebot auf der Erde des Heiligen Landes nichts gepflanzt und nichts geerntet werden darf. Alle sieben Jahre ist ein solches Sabbatjahr für den Boden vorgesehen. Doch die althergebrachte religiöse Forderung führt immer wieder zu neuen Diskussionen. In diesem Jahr geht es dabei vor allem um die Klimakrise.

„Sechs Jahre sollst du dein Feld bestellen und deine Weinberge beschneiden und ihren Ertrag ernten“, heißt es im 3. Buch Mose. „Im siebten Jahr aber soll das Land völlige Ruhe haben, eine Ruhezeit zu Ehren Jahwes.“ Im religiösen Sinn geht es dabei also um einen achtsamen Umgang mit der Schöpfung und obendrein um die Erinnerung daran, dass jeder irdische Besitz letzthin Gott gehört. Im praktischen Sinn jedoch stellt dies zunächst einmal die neuzeitliche Agrarwirtschaft in Israel vor erhebliche Produktions- und Einkommensprobleme.

Eine erste Antwort darauf wurde bereits vor mehr als hundert Jahren ersonnen, als die zionistische Bewegung immer mehr Juden aus dem Exil zurück ins Heilige Land brachte. Einflussreiche Rabbiner schafften ein Schmitta-Schlupfloch, indem sie den symbolischen Verkauf des Ackerlands für ein Jahr an Nicht-Juden erlaubten. Als „Heter Mechira“, Ausnahme durch Verkauf, ist das in die jüdische Rechtsauslegung eingegangen. So wird die kontinuierliche Bewirtschaftung des Bodens gesichert, ohne gegen das nur für Juden geltende biblische Verbot zu verstoßen. Bis heute wird das vor jedem Schmitta-Jahr vom Oberrabbinat so praktiziert.

Gelöst sind die Probleme damit allerdings noch lange nicht. Denn zum einen lehnen viele strenggläubige Ultra-Orthodoxe die Heter-Mechira-Lösung ab und weigern sich, im Schmitta-Jahr Obst oder Gemüse aus jüdischer Produktion zu kaufen. Vorsorglich hat der israelische Agrarminister deshalb bereits im August ein Lieferabkommen für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Jordanien abgeschlossen. Profitieren tun überdies palästinensische Bauern in den besetzten Gebieten – und das passt dann den nationalistischen Kreisen in Israel nicht, die keinesfalls von arabischen Produkten abhängig sein wollen.

Zum andern schlagen nun aber auch Landschaftsarchitekten und Aktivisten Alarm, weil im Schmitta-Jahr nicht nur der Ackerbau, sondern auch die Bepflanzung in den Städten ruhen soll. In Zeiten des Klimawandels sei das „komplett verrückt“, sagte der Landschaftsarchitekt Schachar Zur der Zeitung Haaretz. Neue Bäume und Pflanzungen seien eine „Frage von Leben und Tod“.

Einer Haaretz-Umfrage zufolge wollen sich die meisten israelischen Kommunen, angeführt von Jerusalem und Haifa, im Jahr 5782 an das Pflanzverbot halten. Die Klimaschützer lehnen das als überkommen ab oder fordern zumindest ein Schlupfloch für urbane Bepflanzung. Für den Boden also mag ein Sabbatjahr vorgesehen sein in Israel, zur Ruhe finden die Diskussionen aber so schnell nicht.


In der Jüdischen Allgemeinen (online) schrieb Rabbiner Yehuda Teichtal am 07.05.2018

Schmitta – Recht auf Ruhe
Warum der Ewige alle sieben Jahre ein Schabbatjahr befiehlt

Eine der kontroversesten Debatten, die seit mehr als 130 Jahren im Heiligen Land hitzig geführt werden, ist die Diskussion über das Schabbatjahr (Schmitta). Und das alles wegen der revolutionären Verse unseres Wochenabschnitts Behar: „Wenn ihr in das Land kommt, das Ich euch gebe, dann soll dieses Land einen Schabbat für G’tt ruhen. Sechs Jahre lang dürft ihr eure Felder bestellen, aber im siebten Jahr soll das Land einen Schabbat der vollständigen Ruhe haben, einen Schabbat des Ewigen“ (3. Buch Mose 25, 2–4).

Das Schabbatjahr ist eine faszinierende Mizwa [ein Gebot der Torá]. Sie ist dazu gedacht, dem Land Ruhe zu gönnen, damit es sich regenerieren kann. Das Schabbatjahr zeigt, dass das Judentum einen „Kapitalismus mit Gewissen“ propagiert. Es fordert also ein wirtschaftliches System mit dem Besten aus zwei Welten: die Vorteile eines freien Marktes, der persönlichen Erfolg im Zusammenhang mit harter Arbeit zulässt – aber ohne die Nachteile der unternehmerischen Gier.

Wenn das Land G’tt gehört, dann können wir es nicht als exklusiven Besitz beanspruchen. G’tt schenkt uns Seinen Segen – aber es ist ganz klar, dass wir teilen müssen. Das Schabbatjahr ist Teil der gegenseitigen Kontrolle, die den Kapitalismus koscher und freundlich macht.

Geschenk:
Die Gesetze des Schabbatjahres repräsentieren einige Hauptprinzipien des Judentums:

Erstens gehört uns unser Besitz nicht absolut, sondern er ist ein Geschenk des Schöpfers. Alle sieben Jahre entzieht Er uns den Besitz.

Zweitens ist die Erde nicht einfach ein Objekt, das wir benutzen können, wie wir wollen. Vielmehr müssen wir respektieren, dass sie ein Jahr der Ruhe braucht.

Und drittens verringert sich durch das Schmittajahr der Abstand zwischen Arm und Reich.

Viertens musste den Landwirten die Gelegenheit gegeben werden, den wirtschaftlichen Wettbewerb vorübergehend zu unterbrechen, um sich ein Jahr lang dem Studium zu widmen und sich spirituell weiterzuentwickeln.