Der Karneval und der liebe Advent

Wissen eigentlich die, die am 11. November Karneval feiern, warum sie am 11. November feiern? Der Grund dafür liegt nicht darin, dass dieses Datum eine „Schnapszahl“ ist, sondern in der Dauer der Adventszeit. Entsprechend den vierzig Tagen des Fastens und der Buße vor Ostern („Fastenzeit“ bzw. „Passionszeit“) gab es auch eine entsprechende Fasten- und Bußzeit vor Weihnachten. Mit anderen Worten: Wenn am 11. November Karneval gefeiert wird, könnte uns das an den altkirchlichen liturgischen Kalender erinnern. Denn früher war die Adventszeit länger.

Nach östlichem Brauch dauerte die Fastenzeit vom 11. November bis zum 6. Januar (Epiphanias). Dies waren 40 Tage ohne die Samstage und Sonntage, an denen auch während der Fastenzeit nicht gefastet worden ist. Im Westen gab es zunächst sechs Adventssonntage. Es waren also bis zum Weihnachtsfest am 25. Dezember ebenfalls 40 Tage. Auf jeden Fall war in der christlichen Vergangenheit die Zeit des Advent keine „liebliche“ Zeit des Genusses und der Adventsbräuche, sondern eine Zeit der Buße und des Fastens. Und vor dem Fasten gab es halt nochmal – wie vor dem Aschermittwoch – noch mal einen Karneval. Das Wort stammt ja vom lateinischen „carnem levare“, „das Fleisch wegnehmen“, da ein Fleischverbot zum Fasten dazugehörte.

Unterschiedlich im Westen und im Osten war die inhaltliche Ausrichtung der Adventszeit:

  • In Rom war das Thema die Menschwerdung Christi. Es war also eine Vorbereitung auf das Weihnachtsfest.
  • In Gallien und in anderen Gebieten war der endzeitliche Charakter Stark damit verbunden war die Buße angesichts der Wiederkunft des Herrn. Die liturgische Farbe war somit violett, und das „Gloria in excelsis“ wurde im Gottesdienst weggelassen. Eine endzeitliche Prägung hatten auch schon Sonntage vor der Adventszeit. Deren Wochensprüche zeigen, dass somit mit der Adventszeit thematisch eigentlich nichts grundsätzlich Neues beginnt:
    • Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres: 
      „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“ (2Kor 5,10).
    • Buß- und Bettag:
      „Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben“ (Spr 14,34).
    • Gedenktag der Entschlafenen:
      „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Ps 90,12).
    • Letzter Sonntag des Kirchenjahres:
      Jesus sagt: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen“ (Lk 12,35).

Beide Themen (Das Kommen Jesu als Mensch und die Wiederkunft Christi) fanden ihre Verbindung im „Vorläufer“ Johannes dem Täufer und im Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem.

Apropos Fasten und Karneval:

Benedikt XIV. war Papst von 1740 bis 1758. Er wurde von einem Fürsten gefragt: „Warum hat die Kirche, die doch so liebreich ist, die Fastenzeit nicht in vier Perioden von je zehn Tagen auf die vier Jahreszeiten verteilt?“ Der Papst entgegnete lächelnd: „Die Kirche hätte dies sehr gut tun können. Doch sie dachte, eine solche Ordnung wäre nicht klug. Denn sicherlich hätten die Menschen dann viermal Karneval gefeiert, jedoch kein einziges Mal gefastet.“

Liturgische Farbe in den Adventswochen ist violett (abgesehen vom 3. Advent in der katholischen Tradition).

  • 1. Advent:

Evangelisch: Wochenspruch: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer“ (Sach 9,9). – Als Evangelium wird im Gottesdienst der Einzug Jesu in Jerusalem (Mt 21,1-9) gelesen. Die Epistel (Röm 13,8-12) hat die Wiederkunft Jesu im Blick: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen …“. Das „Gloria“ wird noch einmal gesungen, an den anderen Adventssonntagen nicht mehr.

Katholisch: Thema des Sonntags ist die Wiederkunft Christi. Evangelien sind Mt 24,37-44 (A), Mk 13,33-37 (B) bzw. Lk 21,25-28.34-36 (C). Das „Gloria“ wird bis Weihnachten nicht mehr gesungen.

  • 2. Advent:

Evangelisch: Wochenspruch: Jesus sagt: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“ (Lk 21,28). – Thema ist die Wiederkunft Christi und das Gericht. Evangelium ist Lk 21,25-33, Epistel: Jak 5,7f. („Seid geduldig, bis der Herr kommt“).

Katholisch: Bußpredigt von Johannes dem Täufer (Mt 3,1-12; Mk 1,1-8; Lk 3,1-6).

  • 3. Advent:

Evangelisch: Wochenspruch: „Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig“ (Jes 40,3.10). – Johannes der Täufer ist Vorbereiter und Wegbereiter Jesu. So ist das Evangelium das Benediktus („Lobgesang des Zacharias“, Lk 1,67-79).

Katholisch: Auch hier ist Johannes der Täufer im Mittelpunkt: (Mt 11,2-11; Joh 1,6-8.19-28; Lk 3,10-18). Der Sonntag hat den Namen Gaudete („Freut euch im Herrn …“; Phil 4,4f.) und ist vergleichbar mit dem Sonntag Laetare in der Fastenzeit. Liturgische Farbe ist daher rosa (aufgehelltes Violett wegen des freudigen Charakters des Sonntags).

  • 4. Advent:

Evangelisch: Wochenspruch: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ (Phil 4,4f.). – Die Vorgeschichte der Geburt Jesu ist das Thema des Evangeliums (Lk 1,26-38[-56]) bzw. der Lobgesang der Maria (Lk 1,46-55). Die Epistel ist Phil 4,4-7 („Freut euch in dem Herrn allewege …“).

Katholisch: Nach der Antiphon des Introitus wird der Gottesdienst „Roratemesse“ genannt: Taut, ihr Himmel (lat. rorate caeli), von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor“ (Jes 45,8). Die Evangelien in den Lesejahren sind die Ankündigung der Geburt Jesu an Josef (Mt 1,18-24), die Botschaft des Engels an Maria (Lk 1,26-38) bzw. die Geschichte vom Besuch Marias bei Elisabeth (Lk 1,39-47). – Rorate-Messen zu Ehren von Maria werden im Advent auch an Werktagen gefeiert. Weil das Evangelium die Verkündigung des Engels an Maria ist (Lk 1,26-38), werden sie auch „Engelmessen“ genannt. Aus dem Rorate heraus sind im 15. und 18. Jahrhundert die Adventslieder „O Heiland, reiß die Himmel auf“ und „Tauet, Himmel, den Gerechten“ entstanden.

Quellen: v.a. Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr, München 1998; Handbuch der Liturgik, Leipzig 1995, 2. Aufl.

ADVENT

Auf, du kleiner Mensch,
flieh ein wenig deine Geschäftigkeit!
Verstecke dich eine kleine Weile
vor deinen lauten Gedanken!
Wirf die Sorgen ab, die auf dir lasten,
und nimm Abstand von dem, was dich zerstreut!

Gönne dir Zeit für Gott und ruhe in ihm!
Sprich zu Gott:
„‚Dein Antlitz, o Herr, will ich suchen‘ (Ps 27,8).
Mein Herr und mein Gott,
lehre du mein Herz,
wo und wie es dich suchen,
wo und wie es dich finden kann.“

(Anselm von Canterbury, Proslogion 1)
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