Warum nur erinnere ich mich in diesen Tagen immer wieder an die hervorragende Sonderausstellung der Stiftung Kloster Dalheim bei Paderborn, die ich im September 2019 besucht hatte? Thema war: „Verschwörungstheorien früher und heute“. Viele Originalquellen und Exponate zeigten Verschwörungen gegen Templer, Juden (u.a. die „Protokolle der Weisen von Zion“, angebliche „jüdische Weltverschwörung“), Hexen, Jesuiten, Freimaurer, Illuminaten und politische Gegner (vom ersten Weltkrieg über Hitler- und Stalin-Zeit, Kalter Krieg, USA, DDR bis heute). Auch gegenwärtige Verschwörungen wie Mondlandung, „Klimaschwindel“, „Impfgegner“ (Bevölkerungsreduktion!), „World Trade Center“ 9-11, „Lügenpresse“, Reichsbürger, Chemtrails, Barcodes, Echsenmenschen und die „Bielefeld-Verschwörung“ (Bielefeld gibt es angeblich ja nicht) wurden gezeigt. Es war eine sehr lohnende Ausstellung! Großes Lob an die Organisatoren!
Ein paar Aspekte zu Verschwörungstheorien:
- Sie bieten sehr einfache Antworten auf eine komplexe und komplizierte Situation. Die Welt wird so wieder verstehbar und vorhersehbar. Größere Zusammenhänge werden reduziert auf überschaubare Strukturen.
- Die Welt wird eingeteilt in Gut und Böse (dualistisches Weltbild). Die Verschwörer sind natürlich immer auf der Seite des Bösen. Die Vertreter der Verschwörungstheorie sind die Guten – und sehen sich als Opfer.
- Oft dienen Verschwörungstheorien dazu, einen Sündenbock zu benennen (z.B. „Brunnenvergifter“ als Schuldige für Pestepidemien).
- Sie leben von einem klaren Feindbild. Oft richten sich Verschwörungstheorien ganz allgemein gegen „die da oben“, also gegen die Regierung, gegen Wirtschaftsunternehmen (z.B. Impfgegner gegen die Pharma-Industrie) oder gegen Medien („Mainstream-Medien“, „Lügenpresse“). Eine NWO („New World Order“, „Geheime Weltregierung“) – oder Bill Gates – will die Macht über alle Menschen ausüben.
- Dieses Feindbild und die Verschwörungstheorie verstärkt die Verbundenheit derer, die sie vertreten (Gemeinschaftsgefühl, „Identitätsfunktion“). In den sogenannten „sozialen“ Medien finden sich schnell Gleichgesinnte, die sich in ihrer eigenen Meinung bestätigen. So werden alternative Deutungen von Ereignissen („Alternative Fakten“) verbreitet. Eine neue Parallel-Realität ist entstanden.
- Oft sind Verschwörungstheorien mit Hass verbunden. Hass wertet andere Menschen ab und erklärt sie für minderwertig. Hass ist eine Vorstufe zur Gewalt. Menschen, die hassen, sind unfähig zur Empathie und unzugänglich für sachliche Argumente. Hass ist keine Meinung.
- Wissenschaftliche Fakten werden angezweifelt und negiert. Verschwörungstheoretiker glauben es besser zu wissen: Steht ja alles im Internet. Muss also stimmen.
- Verschwörungstheorien entstehen oft dann, wenn Menschen sich unsicher fühlen oder Angst haben.
- Manchmal lohnt es sich für die Verkäufer finanziell, sogenannte „Gegenmittel“ zu verkaufen, die die vermeintlichen Folgen der angeblichen Verschwörung verhindern sollen (z.B. Chembuster gegen Chemtrails).
- Und: Verschwörungstheorien werden auch und gerne von (politischen) Gruppen verbreitet und instrumentalisiert, die mit diesem Mittel Einfluss gewinnen wollen oder die ablenken wollen von irgend etwas.
Das Problem: „Verschwörungstheorien führen zu einer unheimlichen Immunisierung gegen Kommunikation“ (so der Psychologe Kai Sassenberg am 11.05.2020 bei t-online). Wer Verschwörungstheorien für real halte, sei „unheimlich schwer zu erreichen, denn jede Aussage, die man trifft, jeder Diskussionsversuch und jeder Anknüpfungspunkt, den man schafft, der kann natürlich gleich wieder in die Verschwörungstheorie integriert werden.“
Dann lese ich am 09.05.2020 (bei N-TV), am 11.05.2020 in der „Süddeutschen“, dass Kardinal Gerhard Ludwig Müller (früherer Bischof von Regensburg und ehemaliger Präfekt der Glaubenskongregation) ein Papier einer Gruppe um Erzbischof Carlo Maria Vigano und Kardinal Joseph Zen Ze-kiun unterschrieben hat. Die haben eine Warnung veröffentlicht, nach der die Corona-Pandemie genutzt werden solle, um eine „Weltregierung“ zu schaffen, „die sich jeder Kontrolle entzieht“. Ein „unsichtbarer Feind“ nutzt demnach die Viruskrise, um eine Weltregierung aufzubauen. Dieser würde die Bekämpfung des Coronavirus als „Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung“ nutzen, welche sich jeder Kontrolle entzöge. Die Bischöfe hätten „Grund zu der Annahme“, dass es Kräfte gebe, die Panik stiften wollten, um so dauerhaft Freiheiten einschränken zu können. Beziehungen würden kriminalisiert und Personen isoliert, „um diese besser manipulieren und kontrollieren zu können“. Die Menschheit solle in einer virtuellen Wirklichkeit eingeschlossen werden. Und: Das Coronavirus werde als „Vorwand“ benutzt, um die „Auslöschung der christlichen Zivilitsation“ zu bewirken.
Zwei Tage später, am 11.05.2020 sieht sich Kardinal Müller jedoch schlicht missverstanden. Gegenüber der katholischen Zeitung „Tagespost“ sagte er: „Interessierte kirchliche Kreise“ nutzten den Text, um daraus „Empörungskapital“ zu schlagen. „Jeder nennt jetzt jeden Andersdenkenden Verschwörungstheoretiker“, so Müller. Er werde bewusst falsch verstanden. So liege das Hauptaugenmerk seiner Kritik nicht auf den medizinischen Aspekten der Krise, sondern auf der Reaktion der Kirche.
Frage: Wie war das mit der Weltregierung? So wirr denken keine „Andersdenkenden“, sondern nur ziemlich dumme Verschwörungstheoretiker.