von Walter Wink
„Fürbitte ist der spirituelle Widerstand gegen das, was ist, im Namen dessen, was Gott verheißen hat. Fürbitte imaginiert eine alternative Zukunft, anders als die, welche vom Schicksal durch das Zusammenwirken gegenwärtiger Kräfte bestimmt zu sein scheint. Das Gebet lässt die Luft einer kommenden Zeit in die erstickende Atmosphäre der Gegenwart hereinwehen.
Die Geschichte gehört den Fürbittern, die durch ihren Glauben die Zukunft heraufführen. Das ist nicht nur eine religiöse Aussage. Sie gilt genauso für Kommunisten oder Kapitalisten oder Anarchisten. Die Zukunft gehört jedem, der die Vision einer neuen und erstrebenswerten Möglichkeit heraufbeschwören kann, einer Möglichkeit, die durch Glauben aufgegriffen und als unvermeidlich festgehalten wird.
Das ist die Politik der Hoffnung. Die Hoffnung nimmt ihren Zukunftsentwurf in den Blick und handelt dann, als wäre diese Zukunft unvermeidlich. Auf diese Weise hilft sie, die ersehnte Wirklichkeit zu erschaffen. Die Zukunft ist nicht abgeschlossen. Es gibt Kraftfelder, deren Interaktionsmöglichkeiten einigermaßen vorhersehbar sind. Wie sie aber tatsächlich interagieren werden, ist nicht vorhersehbar. Sogar eine kleine Anzahl Menschen, die sich verbindlich engagieren für eine neue Unabwendbarkeit, auf die sie ihre Vorstellungskraft gerichtet haben, kann die Gestalt der Zukunft entscheidend beeinflussen. Diese Gestaltgeber der Zukunft sind die Fürbitter, die die ersehnte neue Gegenwart aus der Zukunft hervorrufen. Im Neuen Testament sind der Name, die Beschaffenheit und die Aura dieser Zukunft die herrschaftsfreie Ordnung Gottes, die Königsherrschaft Gottes.
Zweifellos ändern unsere Fürbitten manchmal uns selbst, indem wir uns für neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten öffnen. Zweifellos strahlen unsere Gebete zu Gott auf uns zurück, wie ein göttlicher Befehl, selbst eine Antwort auf das Gebet zu werden. Wenn wir aber das biblische Verständnis ernstnehmen, ist Fürbitte mehr als das. Fürbitte verändert die Welt, und sie verändert das, was Gott möglich ist. Sie schafft eine Insel relativer Freiheit in einer Welt, die sich im Griff unheiliger Notwendigkeiten befindet. Ein neues Kraftfeld entsteht, das bislang nur potentiell existierte. Als Ergebnis der Veränderung eines einzelnen Teils ändert sich das ganze Gefüge. Im Beter öffnet sich ein Raum, der es Gott ermöglicht, zu handeln, ohne die menschliche Freiheit zu verletzen. Die Veränderung in nur einer einzelnen Person verändert so das, was Gott durch sie in dieser Welt tun kann.
Alle Lehren Jesu über das Gebet weisen Imperative auf (vgl. Lk 11,9: ‚Bittet … sucht … klopft an‘). Im Gebet befehlen wir Gott, uns seine Königsherrschaft nahe zu bringen. Es reicht nicht, zu flehen. Uns wird befohlen, zu befehlen. Gott verlangt von uns, mit Gott zu streiten – um der Kranken, der Besessenen, der Schwachen willen – und das eigene Leben mit unseren Fürbitten in Einklang zu bringen. Er ist ein Gott, der die Geschichte erfindet, in Wechselwirkung mit denen, ‚die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit‘ (Mt 5,6). Wie sehr unterscheidet sich das von der statischen Gottesvorstellung der griechischen Philosophie! …
Unser Gebet gleich nicht dem Absenden eines Briefes an eine himmlische Regierungszentrale, die ihn auf einen Stapel anderer Briefe ablegt. Wir sind beim Beten eher mit eingebunden in einen gemeinsamen Schöpfungsakt, in dem ein kleines Segment des Universums sich erhebt und lichtdurchlässig, glühend wird, zu einem vibrierenden Kraftzentrum, das die Macht des Universums ausstrahlt.“
Walter Wink, Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Regensburg 2014, S. 154-156.
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