Sophie Scholl (9. Mai 1921 – 22. Februar 1943):
Geistliche Texte und Gebete
Ich habe mir vorgenommen,
jeden Tag in der Kirche zu beten,
damit Gott mich nicht verlasse.Ich kenne Gott ja noch gar nicht
und begehe sicher die größten Fehler in meiner Vorstellung von ihm,
aber er wird mir das verzeihen, wenn ich ihn bitte.
Wenn ich ihn von ganzer Seele lieben kann,
dann werde ich meinen schiefen Blick verlieren.Wenn ich die Menschen um mich herum sehe,
und auch mich selbst,
dann bekomme ich Ehrfurcht vor dem Menschen,
weil Gott seinetwegen herabgestiegen ist.
Auf der anderen Seite wird mir dies dann
immer am unbegreiflichsten.
Ja, was ich am wenigsten an Gott begreife,
ist seine Liebe.
Und doch, wüsste ich nicht von ihr!O, Herr, ich habe es sehr nötig, zu beten, zu bitten.
Ja, das sollte man immer bedenken,
wenn man es mit anderen Menschen zu tun hat,
dass Gott ihretwegen Mensch geworden ist.
Und man fühlt sich selbst zu gut,
zu manchen von ihnen herabzusteigen!
Tagebucheintrag am 12.2.1942
Mein Gott, ich kann nichts anderes, als stammeln zu Dir.
Nichts anderes kann ich,
als Dir mein Herz hinhalten,
das tausend Wünsche von Dir wegziehen.Da ich so schwach bin,
dass ich freiwillig nicht Dir zugekehrt bleiben kann,
so zerstöre mir, was mich von Dir wendet,
und reiß mich mit Gewalt zu Dir.
Denn ich weiß es, dass ich nur bei Dir glücklich bin ….
Bleibe bei mir, o, wenn ich einmal Vater sagen könnte zu Dir.
Doch kann ich Dich kaum mit „Du“ anreden.
Ich tue es, in ein großes Unbekanntes hinein,
ich weiß ja,
dass Du mich annehmen willst, wenn ich aufrichtig bin,
und mich hören wirst, wenn ich mich an Dich klammere.
Tagebucheintrag am 29.6.1942
Manchmal, wenn ich den Namen Gottes ausspreche,
will ich in ein Nichts versinken.
Das ist nicht etwa schrecklich oder schwindelerregend,
es ist gar nichts – und das ist noch viel entsetzlicher.
Doch hilft dagegen nur das Gebet,
und wenn in mir noch so viele Teufel rasen,
ich will mich an das Seil klammern,
das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat,
auch wenn ich es nicht mehr in meinen erstarrten Händen fühle.
Brief an Fritz Hartnagel, Ulm, vom 18.11.1942
(in: Christ in der Gegenwart 19/2021 vom 09.05.2021, S. 5)