Gelebte Spiritualität – selbstverständlich ist das nicht

Dietrich Bonhoeffer

Peter Zimmerling hatte ich im Januar 2022 ins Selbitzer Forum eingeladen. Er hielt einen sehr anregenden Vortrag zum Thema „Lebendiger Glaube zwischen Vernunft und Mystik“. In der aktuellen Zeitschrift zeitzeichen ist ein Gespräch mit ihm abgedruckt. Ein kleiner Auszug:

Neben Luther verweisen Sie in Ihren Büchern auch auf andere evangelische Persönlichkeiten, für die Spiritualität sehr wichtig war. Paul Gerhardt, Dietrich Bonhoeffer, Dorothee Sölle, Nikolaus von Zinzendorf. Wer von diesen hätte uns  heute am meisten zu sagen?

PETER ZIMMERLING: Da würde ich als erstes Dietrich Bonhoeffer nennen. Er hat als einer der Pioniere Spiritualität als wesentliche Ausdrucksform evangelischen Glaubens für die Gesamt­kirche wiederentdeckt. Die Bekennende Kirche legte besonderen Wert auf das Bekenntnis, aber nicht auf Spiritualität. Bonhoeffer war damit ein Außenseiter und tat sich deswegen nicht immer leicht mit den anderen Mitgliedern der Bekennenden Kirche – und umgekehrt. Karl Barth, der theologische Vater der Bekennenden Kirche, witterte ein „merkwürdiges klöster­liches Eros und Pathos“, als  Bonhoeffer in Finkenwalde mit seinen Vikaren Formen evangelischer Spiritualität reflektierte und einübte. Nach dem Krieg hat Barth sein Urteil revidiert und die Bücher „Gemeinsames Leben“ und „Nachfolge“ in seiner „Kirchlichen Dogmatik“ sehr gelobt.

Wie sah Bonhoeffers spirituelles Leben konkret aus?

PETER ZIMMERLING: Ziemlich evangelisch. Dazu gehörte der regelmäßige Gottesdienstbesuch, was für ihn als Pfarrer ungewöhnlich war. Lange Zeit war er nur zum Gottesdienst ge­gangen, wenn er ihn selber hielt. Hinzu kam: regelmäßige Bibellese, und zwar unverzweckt, indem er die biblischen Texte auf die eigene Existenz bezog. Außerdem versuchte er, ein regel­mäßiges Gebetsleben zu führen. Auch das war für einen normalen evangelischen Pfarrer nicht selbstverständlich. Bonhoeffer war gleichermaßen ein Pionier der Meditation und der Einzelbeichte und entdeckte das regelmäßig empfangene Abendmahl neu. Fulbert Steffensky nennt so etwas „Schwarzbrotspiritualität“, was Bonhoeffers Spiritualität gut trifft.

[Aus dem Interview mit Peter Zimmerling in zeitzeichen 3/2022]