Corona-Gedanken

(Eine pdf-Version dieses Textes findet sich auf der Seite „Impulse“)

 

  1. Macht – Ohnmacht – Allmacht

„Warum tut Gott nichts?“ – „Ist Gott ‚schuld‘ an dieser Pandemie?“ – „Warum lässt er das zu?“: Fragen dieser Art kommen schnell in Notzeiten und in Krisensituationen. So wird nun gern diskutiert über Gott, warum er womöglich diese Pandemie geschickt haben könnte (als Strafe??), warum er sie nicht mit einem „Handstreich“ beseitigt, und ob womöglich wir Menschen wegen unserer Sünden schuld sind. Der Denkfehler: Wer so fragt, denkt über Gott nach und stellt sich damit über Gott und „weiß“ im Grunde genau, wie sich ein Gott verhalten müsste, damit er oder sie an ihn glauben kann. Wenn Gott dann nicht so handelt, wie es einem logisch erscheint, nagt der Zweifel am Glauben. Dieser bröckelt, und womöglich zerfällt er allmählich.

Die biblische Antwort ist eine ganz andere: In den Psalmen sprechen, rufen, schreien Menschen ihre Not zu Gott hin – und erhalten daraus neue Kraft, neue Hoffnung und Resilienz. Sie reden nicht und sie spekulieren nicht über Gott und gelangen dadurch nicht in eine Sackgasse der Frustration. Die Erfahrung von Ohnmacht ist ein kontinuierlicher Bestandteil in den Klagepsalmen. Das Vertrauen in den Gott Israels, der den Christen durch Jesus nahegekommen ist, traut Gott so viel zu, dass die klagenden Menschen am Ende der Psalmen ins Lob kommen. Dieses Lob ist ein Perspektivwechsel: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 121,1-2). Aus einer bedrückten gebückten Haltung kann wieder eine aufgerichtete werden.

Die größte Macht hat der, der Leben schaffen kann, und der die Liebe ist. So zeigt sich in der vermeintlichen Ohnmacht Jesu am Kreuz die eigentliche Macht Gottes. „Christus ist auferstanden“ glauben und bekennen Christen und: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben“ (Röm 5,5f.). Daher beten wir im Vater-Unser: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit.“ Wir vertrauen damit darauf, dass Gott Kraft hat und uns Kraft geben kann. Es ist eine Kraft, die größer ist, als unsere Kräfte sein können.

 

  1. Strafe – Buße – Gnade

Wenn ein Mensch durch die Corona-Pandemie ins Fragen kommt, kann daraus ein Überprüfen des eigenen Lebensweges werden. Dies kann zu einer Bitte an Gott um Vergebung und vielleicht auch zu einer Kurskorrektur führen, das heißt zu einer neuen Gestaltung des eigenen Lebens.

Diese Pandemie ist keine Strafe für andere Menschen oder gar für die ganze („gottlose“) Welt. Auch Jesus hat damals Unglücke und Katastrophen nicht so verstanden. Als achtzehn Menschen starben, weil der Turm von Siloah auf sie fiel und sie erschlagen hatte, sagte Jesus: Diese Menschen waren nicht schuldiger als alle anderen Menschen. Und er fügte hinzu, dass alle Menschen Buße tun sollen. Sie sollen also – unabhängig von einem gegenwärtigen Unglück – ihr Leben überprüfen, um Vergebung bitten, den Kurs ihres Lebens korrigieren und ihr Leben neu auf Gott ausrichten. Paulus stellt tröstend in Aussicht, dass die Sünde nicht mehr über uns herrschen wird, weil wir unter der Gnade Gottes stehen (Röm 6,14), die uns schützt wie ein bunter Regenbogen-Regenschirm vor dem Regen.

 

  1. Angst – Enge – Weite

Bilder aus Kliniken in Italien, Spanien oder aus New York haben in den vergangenen Wochen die Gefahren der Pandemie drastisch vor Augen geführt. Sie machten uns bewusst, wie bedroht unser Leben sein kann. Die Sorge, selbst von diesem Virus infiziert zu werden, kann zu einer tiefen Angst führen und kann es eng machen in uns. Es kann manchmal sehr schwer werden, aus so einer Angst herauszukommen. Wenn uns die Bibel immer vor Augen hält, dass unser Leben zeitlich begrenzt ist und dass auch Leid und Krankheit möglich sind, so wird uns auch Hoffnung geschenkt und Mut gemacht. In den Psalmen bringen Menschen ihre Not zu Gott. Dadurch haben die, die sie gebetet haben, erfahren, wie Gott ihnen ein fester Grund unter ihren Füßen wurde, und dass er ihre Füße auf weiten Raum stellte:

2 Herr, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit! 3 Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest! 4 Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen. 5 Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir heimlich stellten; denn du bist meine Stärke. … 8 Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und kennst die Not meiner Seele. … 9 Du stellst meine Füße auf weiten Raum (Ps 31*).

 

  1. Herdenimmunität – Hirtenloyalität

Die Erinnerung ist eine wesentliche geistliche und theologische Aufgabe. Wir dürfen uns daran erinnern, dass wir wie kluge Schafe sind, die einen Hirten haben (Joh 10,11.14f.27-29; Lk 15,4-6), der seine Schafe sucht und treu und loyal ist. Schon der alte Psalm 100 jubelte: „Erkennt, dass der Herr Gott ist! Er hat uns gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide“ (Ps 100,3). Und der 23. Psalm sagte getröstet: „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser“ (Ps 23,1f.). Der Weg führt manchmal halt auch durch finstre Täler (Ps 23,4). Denn Anfechtungen sind, wie Martin Luther sagte, „die notwendige Kehrseite des Glaubens. Wer nicht angefochten wird, kann auch nicht glauben.“ Und er sagte auch dazu: „Anfechtungen sind Umarmungen Gottes.“ Vielleicht kann diese Erinnerung und das „Eintauchen“ in dieses Bild des guten Hirten zum Trost über ein bewahrtes Leben führen und ein Vertrauen an Gott bei Anfechtungen und Zweifeln stärken.

 

  1. Mauern – Sackgassen – Hoffen

Doch wenn der Blick hängen bleibt an den vielen Gräbern, die in Brasilien ausgehoben worden sind, und an den Leichenwagen, die im Konvoi von italienischen Krankenhäusern weggefahren sind, dann wird uns unsere Sterblichkeit von neuem bewusst. Wenn der Beter im Psalm betet, dass wir wie ein Gras sind, „das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt“, dann fügt er auch die Bitte gleich hinzu: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz“ (Ps 90,5f.12). Unser christlicher Glaube vertröstet uns allerdings nicht auf ein Diesseits. Er weitet unseren Blick und sagt: Mit unserer Vergänglichkeit bewusst leben heißt auch: Der Tod ist keine unüberwindbare Grenze. Jesus hat die Mauer des Todes durchbrochen. Er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25f.).

 

  1. Virologen – Wissen – Danken

Kompetente Virologen haben in den vergangenen Wochen über das neue Virus informiert, kluge Epidemologen haben über Hot Spots und die Gefahren der Ausbreitung informiert. Nachdem die Zahlen der Infektionen zurück gegangen sind, ist bei manchen Leuten Unmut entstanden: Waren die Maßnahmen so wirklich nötig? Ist es in anderen Ländern nicht besser gelaufen? Wer hier jedoch genau hinschaut, wird ehrlicherweise sagen: Kein anderes Land (mit so vielen Außengrenzen, mit so vielen internationalen Kontakten noch dazu) ist so gut weggekommen wie Deutschland. Wer dies ausblendet, fällt auf irre Verschwörungstheorien herein. Anstatt nun zu maulen, wäre die beste Haltung, „Danke“ zu sagen. Genauer zunächst: „Gott sei Dank!“ Und dann „Danke!“ auch an die vielen, die uns in den Kliniken, in den Geschäften, in den Arztpraxen und wo auch immer geholfen haben, über die Runden zu kommen. Darüber hinaus kann und soll durchaus nachgedacht werden, was zu tun ist, um bei einem Wiederaufleben von Covid-19 oder bei einer neuen Pandemie gut vorbereitet zu sein. Dazu gehört das Prüfen, wie sich ein Krisenstab zusammen setzen müsste und wie zeitnah das notwendige Material zur Verfügung gestellt werden kann.

 

  1. Verschwörung – Theorie – Pest

Ein fruchtbarer Boden für Verschwörungstheorien ist, wenn derartige Bedrohungen kommen, wenn die Hintergründe und Folgen dieses Virus noch nicht endgültig erforscht sind, und wenn Gegenmittel noch nicht zur Verfügung stehen. Es ist wie eine Pest, die sich da zusätzlich zum Virus ausbreitet. Natürlich kann man sagen: Wer behauptet, es gäbe das Virus nicht, weil wir es nicht sehen können, ist dumm. Und: Wer meint, Bill Gates hat ein Interesse an der Ausbreitung des Virus, ist geistig etwas eingeschränkt. Bill Gates würde doch den Absatzmarkt für seine Microsoft-Produkte dadurch erheblich minimieren. Logisch ist das alles nicht. Und wenn gegen eine Impf-Pflicht demonstriert wird, obwohl die noch gar nicht verordnet ist und obwohl es noch keine Impf-Medikamente gibt, dann ist das kurios. Wer ungeprüften Informationen aus dem Internet glaubt, ist schon auf dem Verschwörungs-Trip. Anhänger von Verschwörungstheorien lassen sich halt nicht so einfach durch vernünftige Argumente widerlegen. Da braucht’s Geduld und Phantasie und Liebe – und viele gute Argumente. Und die gibt es. Zur Genüge!

 

  1. Vermummen – Masken – Lächeln

Mit Masken um Mund und Nase wollen wir uns nicht vermummen und verbergen. Sie schützen andere vor uns und uns vor anderen. Wir wollen ja niemanden gefährden. Und uns auch nicht. Es ist eine sinnvolle Maßnahme im Rahmen der Barmherzigkeit und der (Nächsten‑)Liebe. Das ist notwendig – und hat auch Nachteile: Die Gesichtszüge der Menschen, die uns begegnen, sind so nicht mehr so leicht zu erkennen. Doch ein Blick in die Augen zeigt: Ein Lächeln kann die Maske nicht verbergen. Es ist eine schöne Art, auch mit Fremden mit einem Lächeln auf diese Weise Kontakt aufzunehmen! Gleichzeitig können solche Masken uns auch dazu anregen, darüber nachzudenken, was wir – nicht nur als Aerosole und „Tröpfchen“ – von uns geben, sondern (mit und ohne Masken) auch an Worten. Diese können verletzen und kränken, doch vor allem auch ermutigen und aufbauen.

 

  1. Relevant – systemrelevant – irrelevant

Das Wort „Relevanz“ kommt aus dem Lateinischen (re-levare) und heißt „[den Waagebalken, eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben“. Dem Duden zufolge heißt es „Bedeutsamkeit, Wichtigkeit“. Der Gegenbegriff „Irrelevanz ist entsprechend eine Bezeichnung für Bedeutungslosigkeit im gegebenen Zusammenhang, umgangssprachlich vereinfacht auch für allgemeine Sinnlosigkeit oder Unwichtigkeit“ (Wikipedia). Die Frage der vergangenen Wochen war: Was ist „systemrelevant“, also notwendig und wichtig, um das „System“ am Laufen zu halten? Alles andere wäre demnach irrelevant. Dass alle, die im Gesundheitswesen mitarbeiten und die an den Kassen der Supermärkte sitzen, systemrelevant sind, bestreitet niemand. Doch ist auch die Kirche systemrelevant? – Das ist eine Frage, die in die Irre führen kann.

„Systemrelevant“ ist das Reich Gottes, weil es durch das Evangelium einen Zugang zu Jesus Christus und zur Liebe Gottes schenkt, weil es auch ethische Maßstäbe für gegenwärtiges Handeln setzt und weil es sehr hoffnungsvolle Aussichten für die Zukunft gibt. Die Kirchengemeinden und Dekanate sind nur dann systemrelevant, wenn sie sichtbar, spürbar und konstruktiv mitbauen am Reich Gottes – gerade in Zeiten der Krise. Leider gab es manche Gemeinden, die sich passiv weggeduckt haben und die nur auf die Fernsehgottesdienste und auf die Angebote der Landeskirche und des Sonntagsblatts verwiesen haben. Doch viele Kirchengemeinden waren aktiv dabei, ihre Gemeindemitglieder zu begleiten. Regelmäßige (manchmal tägliche!) Impulse auf der Gemeindewebsite, wöchentliche Andachten oder Gottesdienste online, Osterbriefe an alle Gemeindemitglieder und vieles andere wurde neu auf die Beine gestellt. Alle Achtung! „Danke!“ Und: „Gott sei Dank!“ Sie wurden systemrelevant, wenn und weil sie das Reich Gottes in den Blick gerückt haben.

 

  1. Vorher – nachher – egal?

Die Infektionszahlen, die das Robert-Koch-Institut meldet, gehen wieder zurück, und die Fußgängerzonen werden wieder voll von Menschen. Urlaubsziele auf der ganzen Welt werden wieder in den Blick genommen. Und es sieht fast so aus, als ob der Alltag so ähnlich weiterläuft wie vor den Corona-Zeiten. Dabei müssten wir gerade jetzt noch einmal kräftig innehalten und uns fragen: Was ist wirklich wichtig? Was ist „Not‑wendig“? Wie müssten Besprechungen und Sitzungen ablaufen, dass sie effektiv sind? Sind sie überhaupt nötig? Wir müssten unseren Lebensstil grundsätzlich überdenken, unsere Reisen und Flüge in Frage stellen und den Klimaschutz endlich ernst nehmen. Nach dem, was bei Corona möglich war, könnte die Politik auch bei Klimaschutzmaßnahmen aktiver werden. Es ist kein Argument mehr, dass diese zu teuer oder zu kompliziert sind oder die Gesellschaft zu sehr einschränken. Und dann müssen wir uns vor allem fragen: Was von all dem, was wir tun, fördert den Bau des Reiches Gottes? An dieser Frage müssten sich doch alle Aktivitäten messen lassen. Sonst wären unsere Aktivitäten irrelevant.