Ewigkeit im Jetzt

Wenn man unverhofft im Autoradio eine wunderschöne Melodie hört, vielleicht von Mozart – und sich nicht gleich fragt, wie die heißt, wie man die auf CD bekommt, wie man die wiederholen kann; wenn man sich auch nicht gleich als Kritiker betätigt, der technische Mängel an der Einspielung herauszuhören versucht; wenn man sich vielmehr ganz intensiv der Unwiederholbarkeit dieses ergreifenden Moments bewusst ist und ihn genießt, sich ergreifen lässt, dann kann man in diesem Moment eine Ahnung von Ewigkeit bekommen – oder noch mehr, dann ereignet sich Ewigkeit, die die Zeit und den Moment sprengt, auch wenn man währenddessen im Stau auf dem Kölner Autobahnring steht. Nicht nur das Gehör, alle menschlichen Sinne sind ewigkeitsfähig.

Wenn man in vergleichbarer Verfassung durch einen Wald geht, ohne das Buch „Mein Wald gehört mir“, und darauf verzichtet, den Wald auf den Begriff zu bringen, ihn unter Bildungsgesichtspunkten, unter ökologischen, gesundheitlichen oder ökonomischen Aspekten zu betrachten, und auch nicht nur, um anschließend jemandem von dieser Wanderung zu berichten; wenn der Gang durch den Wald also völlig zwecklos ist, man freilich alles ganz intensiv mit allen Sinnen wahrnimmt, dann mag man ein Gespür dafür bekommen, was Schöpfung ist, und auch dieses Erlebnis sprengt die lächerlich kurze Zeit, die man im Wald verbracht hat.

Manfred Lütz, Lebenslust in unlustigen Zeiten, München 2010, S. 20-21.