Theodizee – oder: Stolpern über den eigenen Verstand

Neben gelungenen VHS-Online-Vorträgen in der Corona-Hochsaison gab es auch einen Tiefschlag. Ein Professor der Theologie (!) referierte über: „Gibt es Gott und wenn ja, warum lässt er Unschuldige sterben? – Die Theodizee-Frage aus philosophischer Perspektive“

Die Anfangs-These war ja noch nicht falsch: Es geht nicht um die Rechtfertigung Gottes angesichts von Leid, sondern um die Rechtfertigung unseres Glaubens an Gott. Leider zeigen die Ergebnisse des Referenten massive theologische Defizite und methodische Fehler.

Einige seiner „(kontroversen) Thesen“:

„Da Gott unparteiisch ist, ist es falsch, sich ihn als liebenden Vater vorzustellen. Kein Vater, der sein Kind liebt, würde es leiden lassen, so wie Gott Menschen leiden lässt.“

„Wenn die Welt überhaupt das Produkt von jemanden ist, so sicherlich nicht das Werk eine barmherzigen und gutmütigen Beschützers (oder ‚Vaters‘). Sie ist das Werk von jemandem, der zumindest vorübergehend bereit ist, das Wohl einiger seiner Geschöpfe zum Besten des Ganzen zu opfern.“

„Falls Gott existiert, ist er moralisch vollkommen und wird am Ende der Zeit Gerechtigkeit herstellen, aber: ‚Er liebt uns nicht.‘

Ein seriöser theologischer Ansatz hätte nun versucht zu erklären, was der hier dargestellte Gott mit dem Gott Jesu zu tun hat. Denn Jesus hat Gott ja selbstverständlich „Vater“ genannt. „Abba“ sogar. Können Christen eigentlich überhaupt noch das „Vater Unser“ beten? Und die Liebe Gottes, von der im Alten wie im Neuen Testament gesprochen wird (z.B. Hos 11, Röm 5, Joh 3,16; 1Joh), müsste wohl nun auch aus der Bibel gestrichen werden? Und überhaupt: Wenn er uns nicht liebt, aus welchem Grund soll er am Ende der Zeit Gerechtigkeit herstellen?

Das eigentliche methodische Problem ist jedoch die Perspektive, aus der der Referent das Thema betrachtet. Er schaut auf Gott und die Menschen wie auf die Figuren eines Schachbretts herunter und überlegt, warum die „allmächtige“ Dame Züge macht, die die Bauern oder die Läufer schlägt – Züge, die der Betrachter verurteilt, und die er nie machen würde. Ein Theologe, der so „über“ Gott spricht, macht den methodischen Fehler, sich damit über Gott zu stellen. Das ist die Falle bei der Theodizee-Frage. Natürlich fragen Leute, warum Gott Leid zulässt. Doch Theologen und Theologinnen müssten aus christlicher Sicht sagen: Wir können nicht „über“ Gott reden, weil wir nicht „über“ ihm stehen können. Wir können nur „von“ ihm und „mit“ ihm reden – wie die Psalmen oder Hiob. Das allein ist die angemessene Perspektive, die Gott Gott sein lässt. Wenn jemand Gott zu einer Schachfigur degradiert hat, die die Züge ausführen muss, die ein Betrachter sich wünscht, dann gilt ja: Der Betrachter schuf seinen Gott nach seinem Bild und nach seinen Vorstellungen.

Schon 1925 hat Rudolf Bultmann in einem Aufsatz („Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?“) geschrieben – und in diesem Punkt hat er Recht:

„Versteht man unter ‚von Gott‘ reden ‚über Gott reden‘, so hat solches Reden überhaupt keinen Sinn; denn in dem Moment, wo es geschieht, hat es seinen Gegenstand, Gott, verloren. … Denn jedes ‚Reden über‘ setzt einen Standpunkt außerhalb dessen, worüber geredet wird, voraus. Einen Standpunkt außerhalb Gottes aber kann es nicht geben, und von Gott lässt sich deshalb auch nicht in allgemeinen Sätzen, allgemeinen Wahrheiten reden, die wahr sind ohne Beziehung auf die konkrete existentielle Situation des Redenden.“