Kaddisch: Lob Gottes – auch in dunklen Zeiten

Nach den blutigen Terroranschlägen auf Siedlungen rund um den Gazastreifen bergen israelische Einsatzkräfte Hunderte Leichen. Im Kibbuz Be’eri werden am ersten Tag der Bergungsarbeiten 100  Todesopfer gezählt. Für die Ermordeten singen die Sanitäter das traditionelle Totengebet „Kaddisch“ der Juden.

Das Kaddisch-Gebet ist eines der bekanntesten und wichtigsten jüdischen Gebete. Oft wird es „Totengebet“ genannt. Doch im Grunde ist es ein Lob Gottes. „Kaddisch“ heißt „heilig“ bzw. „Heiligung“. Geheiligt wird Gott – auch angesichts des Todes.

Im Gegensatz zu fast allen anderen jüdischen Gebeten ist seine Sprache nicht nur Hebräisch, sondern auch Aramäisch. Eine Besonderheit des Kaddisch ist, dass es nur gesprochen wird, wenn ein „Minjan“ (das heißt zehn erwachsene jüdische Männer) anwesend ist.

Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt,
die nach seinem Willen von Ihm erschaffen wurde
– sein Reich soll in eurem Leben in den eurigen Tagen
und im Leben des ganzen Hauses Israel
schnell und in nächster Zeit erstehen.
Sprecht: Amen!

Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.
Gepriesen sei und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht,
gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei der Name des Heiligen,
gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, Verherrlichung
und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde.
Sprecht: Amen!

Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteil werden.
Sprecht: Amen!

Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, er stifte Frieden unter uns und ganz Israel.
Sprecht: Amen!

Das Kaddisch ist ein Lob Gottes. Gerade auch in dunklen Zeiten soll Gott gelobt werden. Das ist immer wieder eine Provokation gewesen – und ein Anstoß. Wie kann man Gott loben angesichts des Todes? Und weil das Kaddisch auch ein Totengebet zur Schoah geworden ist, stellt sich auch die Frage: Wie kann man Gott loben angesichts der Gräuel von Auschwitz?

So beginnt Leonard Bernsteins Dritte Symphonie mit der Ankündigung eines Sprechers, er werde jetzt „sein eigenes Kaddisch“ vortragen. Daraus wird eine Anklage Gottes:

A Lord of hosts, I call you to account.
You let this happen, Lord of hosts.
You with your manner, your pillow of fire.
You ask for faith.
Where is your own?
Why have you taken away your rainbow,
that tiny bow tied around your finger?
To remind you never to forget your promise.

Wenn Gott seinen Regenbogen wegnimmt – hat er seinen Bund vergessen (vgl. Gen 9,13-16)? Doch Bernstein redet nicht über Gott, sondern klagt zu ihm hin. Darum geht es: Alle Fragen und Klagen haben eine Adresse: Den Gott, der die sieht und hört, die klagen und leiden. Davon singen die Psalmen Lieder in allen Variationen. Und vielleicht wächst daraus Zuversicht und Lob? Wie im Psalm 57 – hier in der Übersetzung von Martin Buber (ein Ausschnitt):

Leihe Gunst mir, Gott, leihe mir Gunst,
denn an dir birgt sich meine Seele.
Ich berge mich im Schatten deiner Flügel,
bis vorüberzog das Verhängnis.

Ich rufe zu Gott dem Höchsten,
dem Gottherrn, ders vollführt über mich.
Er wird vom Himmel senden und mich befrein,
mag auch höhnen, der nach mir schnappt.

Senden wird Gott seine Huld und seine Treue.
Meine Seele ist inmitten von Löwen,
liegen muss ich bei Sengenden, Menschenkinder sind‘s,
deren Zähne sind Speer und Pfeile,
deren Zunge ein scharfes Schwert.

Schwinge dich über den Himmel, Gott,
über alles Erdreich deine Ehre!

Fest ist mein Herz, Gott, fest ist mein Herz,
singen will ich, harfen will ich.
Ermuntre dich, meine Ehre,
ermuntre dich, du Laute und Leier,
ermuntern will ich das Morgenrot.

Unter den Völkern will ich dir danken, mein Herr,
unter den Nationen dir harfen,
denn bis an den Himmel groß ist deine Huld,
bis an die Lüfte deine Treue.
Schwinge dich über Himmel, Gott,
über alles Erdreich deine Ehre!