Manfred Lütz (Psychiater, Psychotherapeut und Theologe):
Ich bin mit 14 Jahren Atheist geworden. Ich fand Religion eine Sache für Kinder, deren Verstand noch nicht reif genug ist. Was ich vor allem nicht verstand, war, warum Gott nicht einfach ein für alle Male klar und unmissverständlich sagt, dass es ihn gibt, damit man nicht immer so unsicher ist.
Ich bin dann unter anderem dadurch wieder zum Glauben gekommen, dass ich begriff, dass ich dann dem allmächtigen ewigen Gott gegenüber ja gar nicht wirklich frei sein könnte, dass ich mich ihm dann einfach nur unterwerfen müsste, eine Marionette wäre. Der christliche Glaube geht davon aus, dass es eine geschichtliche Entwicklung des Glaubens gibt, dass sozusagen Funken Gottes schon in den frühesten Kulturen angelegt waren, dass dann auf dem Sinai die große Offenbarung Gottes erfolgt ist, die endgültige schließlich in Jesus Christus, aber dass all das doch letztlich eine realistische Ahnung bleibt, nicht ein abschließendes steriles Wissen, sondern das Erlebnis, nicht überwältigt zu werden, aber doch angezogen zu werden von einem Absoluten. Und so habe ich das dann erlebt.
(in: Manfred Lütz, Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg?, Freiburg 2020, 2. Aufl. S. 119)